Interview mit Birdy Steppuhn zur Bandhistory von R.L. Madison Hi Birdy. Wir haben uns heute getroffen, um über die Band R.L.MADISON zu sprechen. Diese Band begleitet Dich nun schon über 21 Jahre. Klingt verrückt, aber es stimmt. Die ersten Gehversuche geschahen Ende Dezember 1989. Bandgründer waren der Flötist Peter Beßer und Du. Es heißt immer, Ihr suchtet nach mehr Entfaltungsmöglichkeiten. Wodurch fühltet Ihr Euch denn beschränkt? Wir waren 1988 und 1989 Mitglieder der Band "Birds of Paradise", die Jazz-Standards und Eigenkompositionen spielte. Andere Bandmitglieder waren u.a. Christian Müller (Baß) und Oliver Mielke (Gitarre), beides Top-Leute der Duisburger Szene, aber keine Jazzer im eigentlichen Sinne. Das war und ist natürlich kein Makel. Ich hatte einen Riesenspaß in der Band und ich schätzte auch sehr, daß wir nicht die typische Standard-Band waren, wie man sie bei unzähligen Jam Sessions oder Firmeneinweihungen zu hören bekommt. Wir spielten Standards, aber durch die total unterschiedlichen Musiker-Backgrounds (Blues, Rock, Jazz) war unser Sound sehr eigenständig, wenn auch noch qualitativ sehr schwankend. Nach einem tollen Gig im Herbst 1989 passierte, was oft nach besonders erfolgreichen Auftritten passiert: Es zerbröselte alles. Die Stärke der Band - eine große stilistische Vielfalt - wurde zum Grund ihres Scheiterns, weil die Musikercharaktere nicht mehr unter einen Hut zu bringen waren. Mit Oliver Mielke machte ich in einer feinen Blues-Rock-Band weiter, Christian Müller wurde später mehrmals Bassist bei R.L.MADISON. Peter Beßer und ich hatten unsere ersten wesentlichen musikalischen Gehversuche gemeinsam unternommen. Peter schwebte nun eine Band vor, die ein viel moderneres, freieres Soundkonzept verfolgte. Und da ich damals bereits ein begeisterter Hörer von Jazz-Freigeistern wie John Coltrane, Albert Ayler oder Pharoah Sanders war, faszinierte mich diese Idee sehr. R.L.MADISON hieß die Band wegen Deines Romans? Ist das wirklich so? Jaja, das stimmt. Ich war literarisch beeinflußt von Autoren wie James Baldwin und Hubert Selby, und ich wollte einen Roman wie eine einzige große Jazzimprovisation schreiben, zwar mit einem Konzept und einem klaren Handlungsverlauf, aber ohne tagelang ausgefeilte Formulierungen. Ich ließ mich durch Coltrane-Musik inspirieren - hörte diese permanent während des Schreibens - und übertrug Trane's Sounds in Worte; ich rotzte regelrecht den Roman aufs Papier. Es geht in der Story um eine Gruppe ziemlich unsympathischer Typen, die einfach nur abhängen und saufen und Mädels klarmachen wollen und dann am nächsten Abend damit weitermachen. Einer von ihnen ist der Jazzfan und gelegentliche Pianist Ralph Leonard Madison, der für die Gruppe irgendwann nicht mehr tragbar ist, weil er anfängt, sich Gedanken über sein Tun zu machen und merkt, daß er die Sauferei nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Der Roman schildert die Tage des Totalabsturzes. Für eine Band, deren Konzept "From Free To Funk" heißen sollte, paßte demnach der Name "Madison" großartig, denn der Roman war wirklich extrem "free" und wühlte ganz schön im "funk". Warum heißt die Band dann nicht einfach "Madison"? Es gab zu jener Zeit eine Showband namens "Madison". Irgendwann sah ich einen kleinen Tour-Van mit der Aufschrift und war total enttäuscht. Natürlich wollte ich keine Verwechslung mit einer Showband, die durch Seniorenzentren zog. Das soll jetzt wahrlich nicht herablassend klingen, aber das ist eben eine ganz andere Baustelle. Also fügten wir dem Bandnamen die Initialen der Hauptfigur zu und geboren war … R.L.MADISON. Ich war schon länger ein Soul Jazz-Fan, und einer meiner Lieblingspianisten, Ray Bryant, hatte mal großen Erfolg mit einem Stück namens "The Madison Time". Ich vermute, daß ich dadurch auf den Namen für die Romanfigur kam. Was ist aus dem Roman geworden? Du hast ihn nie veröffentlicht, nicht wahr? Das ist weitgehend richtig. Die fertiggestellte Urfassung von 1988 haben ein paar Leute gelesen. Für ein paar Monate war sie sogar quasi verschwunden, weil ich sie irgend jemandem geliehen hatte und die Story dann durch mehrere Hände ging. Die Testleser waren glaube ich recht verwirrt, denn ich selbst wirkte sehr friedlich, der Roman war es aber gar nicht, er war sehr drastisch und sicher nicht für unter 16jährige geeignet. Aber die Geschichte eines Mannes, der durch die Hölle Alkoholabhängigkeit geht, kann man nicht zart erzählen. 1990 habe ich die Story überarbeitet und bin dabei bis etwa zur Hälfte gekommen, dann ging mir die Energie aus. Wie ich schon sagte: Es war eine intensive literarische Improvisation, und die kostete enorm viel Kraft. Es hat Gründe, warum auch expressive Musiker keine stundenlangen Soli auf höchstem Energielevel spielen: Das geht an jegliche Form von Substanz. 1997 habe ich noch einen Anlauf genommen, bin aber nicht weit gekommen. Wirst Du Dich noch einmal daran begeben, eine endgültige Version zu schreiben? Schwer zu sagen. Ich habe Zweifel. Ich möchte es eigentlich gerne, aber es ist eine Frage von Zeit und Kraft und die Bereitschaft, sich für eine lange Phase in die Abgründe der menschlichen Seele zu versenken. Aber wer weiß. Vielleicht habe ich ja noch vierzig Jahre, und die wollen auch kreativ gefüllt sein. Du hast selbst mal gesagt, daß die Figur R.L. Madison quasi stellvertretend für einen Freund steht, der 1990 verstorben ist. Das kann ich so bestätigen. Natürlich ist der Roman Fiktion. Nur wenige Szenen sind der Wirklichkeit entlehnt. Aber die Grundstimmung hat viel mit der Wahrheit zu tun. Die Band R.L.MADISON bestand also aus Peter und Dir. Ging die ursprüngliche Absicht der musikalischen Freiheit auf? Ja. Wir haben nahezu alle Proben aufgenommen, und es ist teilweise irre, was da abging. Wir gingen jede Probe wie einen Live-Auftritt an, inklusive Ansagen. Das war eine hervorragende Schule. Wir waren perfekt aufeinander abgestimmt und entwickelten ein großartiges, fast blindes Verständnis. Und gelegentlich wurden die Stücke so free und intensiv, daß wir im Proberaum rumbrüllten, um nicht an der überschäumenden Energie zu ersticken. Ihr habt viele Musiker ausprobiert? Das klingt ein bißchen komisch, stimmt aber in etwa. Wir haben Verbündete gesucht. Obwohl ich es durch unser Duo-Spiel gewohnt war, die ganze Rhythmusgruppe zu sein, fehlte uns doch noch eine treibende Kraft, ein Bassist. Und so kamen und gingen einige, machten bei Proben mit und verschwanden wieder. Wie wir an die geraten sind, weiß ich nicht mehr. Es ging wohl über Kleinanzeigen in Zeitungen oder Aushänge in der Uni oder in Büchereien. Ans Internet und ähnlichem war ja noch gar nicht zu denken. Und großartige Kontakte in die Szene hatten wir kaum. Die Bassisten waren alle gut, auch davon habe ich noch Aufnahmen, aber uns waren sie wohl noch zu zahm. Wir suchten Leute, die auch zu extremen musikalischen Ideen bereit waren. Das waren diese Leute damals nicht. Interessanterweise probte damals, 1990, auch der Saxophonist Harald Königs bei uns mit, so für ein paar Wochen. Etwa zehn Jahre später begegnete er mir wieder, weil er, wie ich dann erst erfuhr, mit einer Arbeitskollegin befreundet war. Und so kam es dann doch zu ein paar gemeinsamen Gigs mit der Band, und das nach einem solchen Anlauf… Der erste Gig ließ nicht lange auf sich warten. Richtig. April 1990 spielten wir im Bürgerhaus Hagenshof in Duisburg-Neumühl, in das damals Leiter Wilfried Schaus-Sahm einige tolle Jazzer einlud, z.B. Myra Melford oder Uwe Kropinski. Wir freuten uns über den Gig und spielten ungeniert unser Zeug. Es waren nicht wahnsinnig viele Zuschauer da, aber Jazzer sind da sehr genügsam. Es ging in erster Linie darum, die eigene Musik zu präsentieren. Und es waren auch fast ausschließlich eigene Stücke, mit extrem hohem Improvisationsanteil. 1990 folgten noch weitere Auftritte. Und zwar ganz schön verrückte. Zum Beispiel spielten wir bei einem Bandmeeting im Jugendzentrum Duisburg-Großenbaum, in dessen Keller wir lange Jahre geprobt hatten. Man muß sich das mal vorstellen: Ein Jugendzentrum, Rockbands aller Couleur und mitten drin zwei unerschrockene Free Jazzer. Aber man schmiß uns nicht raus! Ich erinnere mich auch an einen Auftritt auf einer sehr großen Bühne auf dem Duisburger König- Heinrich-Platz, das Stadttheater im Rücken. "Duisburger Durchbruch" oder so hieß die Veranstaltung. Hunderttausend Bands an einem Wochenende. Klasse. Wir waren zu einer Zeit dran, als noch wenig los war, aber wir spielten ein paar Stücke. Christian Müller war wieder dabei. Ich mag die Aufnahmen noch immer. Das war vollkommen eigenständig. Selbst "Afro Blue", schon damals in unserem Programm, klang nach R.L.MADISON und nach niemand anderem. Es folgte ein Video namens "Many Faces" Was ist daraus geworden und worum geht es darin? Peter und ich tauchten ab in die Anfänge unserer musikalischen Karriere. Wir filmten unseren ersten Proberaum, die ersten Konzertorte, fabulierten über Jazz und das Leben und ließen musikalische und andere Weggefährt/-innen über uns zu Wort kommen. Das war hochinteressant, unglaublich lang und ziemlich amüsant. Für Leute, die uns damals aber nicht schon kannten, ist das weit weniger spannend, zumindest nicht als Gesamtwerk. Wie ging es dann weiter? Peter zog Anfang der Neunziger nach Münster, aus Studiengründen. Wir konnten nun nur noch selten proben, aber wir nutzten jede Gelegenheit. Bei einem Gig in Münster in einem kleinen Club vermochten wir tatsächlich ein komplett fremdes Publikum zu begeistern mit unserem wirren Stil. Und das, obwohl mein Drum Set ständig verrutschte, ich das Fell der Snare nach ein paar Minuten halb zerfetzt hatte und vollkommen unbegleitet "Round Midnight" sang. You gotta have guts to get away with all that! Ich wurde seitdem mehrfach nach Münster reingelassen. Man hat mir meinen Gesang also wohl verziehen. 1992 bedeutete dann einen großen Umbruch. André Tuyala ersetzte Peter Beßer. Wie kam es zum Bruch mit dem langjährigen Weggefährten? Das möchte ich hier gar nicht erzählen, denn es stünde hier ja nur meine Version. Es gab jedenfalls Auseinandersetzungen über die Besetzung der Band. Zuvor aber hatten sich André und Peter in Münster kennengelernt, als sie unter einer der vielen Kanalbrücken der guten Akustik wegen jammten. Peter fragte André, ob er bei einem Gig in Duisburg mitmachen wolle. André hatte sogar Kontakte nach Duisburg, ein Onkel wohnte z.B. hier. So sagte er spontan zu, ohne überhaupt die anderen Bandmitglieder zu kennen. Und dann war der Mann, der ihn eingeladen hatte, plötzlich gar nicht mehr dabei. Glücklicherweise hatte ich Andrés Telefonnummer. Wir machten einen Probentermin kurz vor dem Gig aus, und so holte ich dann einen Musiker vom Bahnhof ab, den ich nicht kannte, mit dessen Namen ich aber kräftig für den Auftritt geworben hatte. André und ich entwickelten sofort einen prächtigen Draht zueinander. Es war total komisch: Die Generalprobe war ziemlich beschissen, ehrlich gesagt. Aber dann paßte am Konzerttag plötzlich alles zusammen. Wir lebten das Bandkonzept "From Free To Funk"! Stilistisch war alles dabei, Blues, Rock, Funk, Free Jazz … völlig losgelöst und voller Spielfreude. Mit genau diesem Abend war klar, daß die Band eine Zukunft hatte. Und daß sie fortan untrennbar mit André Tuyala verbunden war. Der Mann hat uns einfach alle vollkommen umgehauen. Danach wurde die Band auch immer professioneller. Du bist ja Autodidakt. Wie kamst Du mit der Entwicklung zurecht? Wir spielten zusammen. Das beantwortet die Frage. Ich hasse Allürenmusiker. Die gehören nicht in die Band. Und wenn einer abhebt oder abdreht, dann ist er bzw. sie schnell draußen. Ich kenne meine Grenzen, aber es gibt immer 100% Birdy, nie weniger. Mich haben die wirklichen Madison-Mitstreiter nie spüren lassen, daß sie wesentlich fitter auf ihren Instrumenten sind. Man muß sein Instrument schon beherrschen, das ist klar. Aber da ich nun auch der Bandleader bin, kann ich ja auch dafür sorgen, daß ich mich nicht selber mit Mörderstücken von der Bühne schieße. 1993 folgte der BIRD'S DAY. Ich spielte zu der Zeit in drei Bands mit völlig unterschiedlichem Charakter. CARTOON SKY, einer klasse Live-Band aus dem Bluesrock-Bereich, R.L.MADISON und dann noch einer Deutsch-Pop-Rock- Band aus Ratingen, bei der mir vor allem der Keyboarder zusagte. Da waren nette Leute dabei und komische. Einer hat sich hinter meinem Rücken darüber ereifert, daß ich bei Gigs immer afrikanische Kostüme trage. Tja, man begegnet eben auch unter Musikern dem einen oder anderen Arschloch. So what. Warum trägst Du denn bei den Gigs diese Kostüme? Das ist leicht beantwortet: Sie sind praktisch, sehr leicht und bequem, bieten mir viel Bewegungsfreiheit. Aber noch wichtiger ist: Der Jazz hat seine Wiege in Afrika, die Trommelkunst ebenso. Meine Kleidung trägt dem Rechnung. Und drittens bin ich der Meinung, daß ein Zuschauer das Recht darauf hat, ein Konzert auch zu sehen. Ob ein Musiker Anzug, Kostüm oder nichts trägt, mag sein Spiel weder verbessern noch verschlechtern. Aber wenn ich hoffe, daß mich Leute drei Stunden anschauen und mir genauso lange zuhören, dann haben sie mehr verdient als ausgelatschte Gammelklamotten. Zurück zum BIRD'S DAY. Ja richtig. Es spielten also die drei Bands hintereinander, an meinem Geburtstag übrigens, woraus sich auch das passende Wortspiel für den Titel der Veranstaltung ergab. Letzter Programmpunkt war R.L.MADISON. Und als ich André, der sich damals oft Zola nannte, auf die Bühne holte - ich mag es, die Musiker nacheinander auf die Bühne zu bitten - da kam er hinter dem Vorhang hervor auf die Bühne, die ganze Zeit sein Tenorsax spielend. Und dann dieser magische Sound! Es gibt diese ganz persönlichen Sounds, die ohne Umwege in Deine Seele schießen. André hatte diese Magie. Mit dabei waren noch Dirk Achille, ein Gitarrist, Sänger und Freund aus Zivildienstzeiten, und Marc Muellbauer, ein großartiger Bassist, bei dem jedes Solo zum kleinen Kunstwerk wurde. Das war dann ja beinahe genau die Besetzung, die 1994 die CD "The Spirit of Coltrane" aufnahm. Stimmt. Coltrane war und ist mein Lieblingskünstler, meine wichtigste künstlerische Inspiration und einer der bedeutendsten Innovatoren der gesamten Musikgeschichte überhaupt. Ich wollte ihn durch eine CD ehren. Das war ein ganz schön gewagtes Unterfangen. Das erste von zwei live aufgenommenen Konzerten fand im Duisburger Kino "Filmforum" statt, und da wir weder einen Manager hatten noch sonderlich bekannt waren, haben wir alles selbst geregelt inklusive Werbung und Pressearbeit. Daß sich an diesem Abend das Filmforum nicht nur füllte, sondern aus allen Nähten platzte, gehört zu den tollsten Erfahrungen meines Musikerlebens. Du siehst, daß das, was Du da tust, eine Auswirkung hat, daß es Leuten Spaß macht. Und dieses Etwas gäbe es sonst nicht. Ich arbeite ja hauptberuflich - und  meistens sehr gerne - in der VHS Duisburg, aber meinen Job könnten andere auch tun, anders, aber sicher nicht schlechter. Und ohne mich würde die VHS einfach weiterexistieren. Dieser Sound aber, den wir kreierten, der war vorher nicht da und den hätte es ohne uns auch nie gegeben. Und doch wurde fast nichts von diesem Konzert auf die CD gepreßt. Ja, leider. Musikalisch war Einiges gut. Mit leichten Fehlern kann ich leben, denn es kommt viel stärker auf das Gefühl an, das transportiert wird. Den Groove, die Inspiration. Blöd war vielmehr, daß die Aufnahme soundtechnisch nicht höheren Qualitätsansprüchen gerecht wurde. Ich habe dem netten Aufnahmeleiter vertraut, daß ein Raumsound besser sei als die einzelnen Instrumente tontechnisch abzunehmen. Im Filmforum paßte das dann doch nicht. Ich konnte nur das Drum-Solo für die CD verwenden. Und so mußte ein zweites Konzert her. Das war ohnehin geplant, aber so entstand natürlich ein unglaublicher Druck. Hatte ich dies eigentlich zur Sicherheit vorgesehen, mußten wir nun die neuen Tracks nehmen, weil es keine Alternative gab. Ist die CD also ein Kompromiß? Nein. Wir spielten unsere Sachen gut. "Walk Spirit Talk Spirit" hätte mehr losgehen können und bei "Afro Blue" hätte ich mir André sogar noch expressiver vorstellen können. Aber ich mag die Aufnahmen und ich mag viele Momente. Am besten kommt natürlich Marc Muellbauer zur Geltung, ein wirklich phantastisch guter Bassist, der mittlerweile zur Elite Deutschlands gezählt werden darf, wenn man die Grenze überhaupt so eng ziehen will. Der Band gebührt in diesem Punkt aber kein Preis: Marc war schon sensationell, als er zu uns stieß. Das zweite Konzert wurde von jemand anderem aufgenommen? Ja, von Klaus Supp. Ein unglaublich netter Kerl und guter Soundmann, der einige Zeit richtig zur Band gehörte. Es ist elementar, sich auf den Soundmann verlassen zu können. Das nimmt einem eine Riesenlast und gibt die Freiheit, ganz auf die Musik konzentriert zu bleiben. Da Klaus auch Altsax spielte, hat er bei manchem Auftritt bei einem Stück auch ein Solo gespielt. Sein Altsaxsound lag irgendwo zwischen Eric Dolphy und Kenny Garrett. Schade, daß es keine guten Aufnahmen davon gibt, ich würde das liebend gerne rausbringen. Hat sich die CD gut verkauft? Eine Jazz-CD? Von quasi namenlosen Musikern? In Duisburg und darum herum? No way. Aber die Unkosten waren schon irgendwann gedeckt. Es ging nicht ums Geldmachen, es ging um die Verwirklichung einer Idee und den Beweis, daß der Spirit von John Coltrane weiterlebt, auch in jungen Musikern der hiesigen Szene. Waren dies nicht ein Paar Schuhe einer viel zu großen Nummer? Nein, und ich mag auch diesen Gedankenansatz nicht. Gute Jazzer, vor allem die Stilbildner, würden niemals wollen, daß ihre Musik unangetastet bleibt. Was hätte sie für einen Sinn? Normalerweise ist doch Jazz Live-Musik. Daß manches konserviert wird, ist nicht der Regelfall. Die meisten Zuschauer sehen ein Konzert und damit das ganze Geschehen genau ein einziges Mal. Gäbe es keine Platten, wäre auch John Coltrane ein Name, den wir nur vom Hörensagen kennen. Jazz muß weitergetragen werden, ganz so, wie früher in westafrikanischen Dorfgemeinschaften die Griots die Dorfhistorie weitererzählt haben. Wenn das nicht geschehen wäre, hätte es das Bewußtsein für die Vergangenheit nach wenigen Generationen ausgelöscht. Coltrane muß man spielen, immer wieder und immer wieder anders - bloß niemals wie er selbst. Kopieren ist kreativlos. Es gibt diesen Gitarristen Randy Hansen, der einen Großteil seines musikalischen Lebens darauf verwendete, wie Jimi Hendrix zu spielen. Das ist doch total armselig, egal, wie gut er das macht. Hendrix-Songs und Einflüsse am Leben zu erhalten, unbedingt, aber doch mehr mit der eigenen Stilistik verbinden; erst das ehrt das Vorbild bzw. die Inspirationsquelle wirklich. War es schwer, nach diesem Erfolg und dem ganzen Trubel wieder auf den Boden zurückzufinden? Jein. "Trubel" ist natürlich ein großes Wort. Wir sind dadurch weder berühmt noch populär geworden. R.L.MADISON gehört sicherlich seitdem zu den zwei, drei prominentesten Jazzformationen Duisburgs, heutzutage auch der Langelebigkeit wegen. Schwierig war es eher, ins normale Berufsleben zurückzukehren, denn die Musikwelt ist einfach eine völlig andere. Wir hielten uns aber nicht lange auf und bauten ein neues Programm … “Listen here! (2 the Soul of Jazz)”. Wer erfindet eigentlich Eure Programmtitel? In allen Punkten schuldig. Ein Programmtitel muß inspirieren. "Es spielt für sie das Lars Durchschnitt Trio" klingt mir zu stoffelig. Ich hatte viele Jahre zuvor eine Platte gehört, "The Soul of Jazz" mit souljazzigen Tracks aus dem Blue Note-Archiv. Es war eine Compilation mit einer Kurzfassung des "Sidewinder" von Lee Morgan, dann den Three Sounds und solchen Leuten. Das packte mich. Und nun wollte ich auch genau da hin: Soul Jazz. All die Songs, die ich so liebe: "Moanin'", "Cantaloupe Island", "Watermelon Man", "Mercy Mercy Mercy" - großartig. Und dazu Coltrane Stuff. Das ist eben auch mein Ansatz: Man muß das Publikum an die Hand nehmen. Unser Publikum besteht nur zu einem kleinen Teil aus Jazzfreaks. Da sitzen und stehen alle möglichen Musikinteressierten. Warum soll ich denen das härteste Zeug entgegenballern? Das mache ich doch lieber mit Vorwarnung bei einem entsprechend angekündigten Free-Projekt. Aber groovigen Shit zu spielen, an dem man selbst Spaß hat, und das mit freien Ausbrüchen zu verknüpfen - das gibt den Leuten die Chance, den Weg mitzugehen. André spielte bei "Afro Blue" eines Abends ein Solo, das der völlige Wahnsinn war. Der Laden kochte, unser neuer Bassist, Jan Keller, schrie aus Energieentladungsgründen, das Publikum tobte - obwohl (oder weil) André recht free spielte, der Groove darunter aber weiter pulsierte. Jazzfans und Jazzneulinge johlten bei einem Saxsolo mit Hupen und Kreischen. Yes Sir, Jazz kann Dich packen! Du hattest eine neue Besetzung am Start. Teilweise. Neben Dirk waren u.a. Jan Keller am Baß und Matthias Flake am Klavier dabei. Matthias begeisterte mich vor allem bei ruhigen Stücken. Dann war kitschlose Traumzeit angesagt. Jan Keller blieb einige Zeit bei Euch. Ein verrückter Kerl. Ich meine das rein positiv. Er wollte immer gerne mit Walen Musik machen. Ernsthaft. Und Du siehst mich auch nicht lachen. Jan ist mit Equipment nach Gomera gereist, um Wege zu finden, das möglich zu machen. Ich weiß nicht, was letztlich daraus geworden ist, aber wenn einer mal mit Walen musizieren sollte, dann er. Und Jan konnte mit Arco-Spiel wirklich Walgesänge auf dem Baß nachempfinden! Jan gab uns jede Menge Kicks, hatte immer neue Ideen und auch tontechnische Spielereien auf Lager, die er ausprobierte. Auf Dauer war es ihm aber zuviel Groovezeugs im Programm, und er wurde auch zu sehr zum Individualisten innerhalb der Band, als daß eine Fortsetzung noch Sinn machte. Aber das war okay. Ich bin nach wie vor begeistert von Jan's konsequenter Art, sich weiterzuentwickeln. 1995 folgten dann u.a. die Duisburger Akzente mit einem erneuten Auftritt im Duisburger Filmforum. Ganz genau. R.L.MADISON als Duisburger Beitrag des Akzente Jazz-Programms, aufgeführt neben Leuten wie Abdullah Ibrahim, Manu Dibango und Louis Moholo. Irre. Bei diesem Gig spielten wir erstmals mit dem ghanaischen Master Drummer Nii Annan Odametey. Hier eine herrliche Story aus dem Kapitel "Kulturelle Unterschiede": Annan war damals Kursleiter für Afro Percussion in der VHS, ich arbeitete in demselben Laden. Ich suchte händeringend nach einem Percussionisten, also fragte ich Annan. Er sagte "Okay". Und ich, typisch für unsere Breitengrade, wollte ihm noch Infomaterial aufdrängen und unsere CD zum Testen, ob wir denn seinem Geschmack entsprächen, ob er nicht erstmal die anderen Bandmitglieder kennenlernen wolle, blabla, viel Konjunktivgerede. Annan: "No, it's okay" Punkt. Und er war da, und er spielte. Bang! Am ersten Abend wußte ich: Der Sound gehört ab sofort zu R.L.MADISON! Seitdem war wirklich bei allen wichtigen Konzerten ein Drummer aus Ghana dabei, manchmal auch zwei oder drei, je nach Gelegenheit. Annan ist ein guter Freund geworden. Er ist sicher der Publikumsmagnet der aktuellen Band. Das Programm hieß "Afro Blue Impressions". Schon der Titel zeigt: Coltrane war nicht weit. Natürlich nicht. Trane wacht über allem. Wir spielten Soul Jazz, Afro Grooves, Trane, eine Meditation, Abdullah Ibrahim - und ein Stück von Don Pullen, den zu Unrecht viel zu wenig Leute kennen und der einige wundervolle Kompositionen geschrieben hat. Es folgte quasi eine Clubtour. In begrenztem Ausmaß. Wir haben nicht mordsmäßig viele Gigs gehabt, aber insbesondere in Duisburg die spannendsten, so mehrmals im "Backstage", einem ehemaligen Rotlichtladen, der irgendwann zum Club umgebaut worden war. Es gab sogar eine im Boden versenkbare Bühne. Da ich seinerzeit den dort auch beschäftigten DJ Martin Schneider kennengelernt hatte, beschlossen wir, ein paar Groove- Nächte zu starten. Erst wir mit unserem verrückten Mix, dann er als DJ, der die Tanzwütigen dann noch mal bis zum Morgen in Bewegung hielt. Es war wieder eine neue Herausforderung, denn wir waren nun auf dem Terrain der Tänzer - und auch hier funktionierte die Idee, das Publikum mit Groove an die Hand zu nehmen und dann stilistisch alle Grenzen zu vergessen. Ist das der Martin Schneider, mit dem Du die Radiosendung "Soul Connection" moderiert hast? Genau der. Fast zwölf Jahre lang. Tolle Sache. Wir haben die groovende Seite des Jazz präsentiert und ansonsten reichlich abgedrehtes Radio gemacht. Ich wundere mich bis heute, dass sie uns den Saft nicht abgedreht haben bei den zum Teil sehr schrägen Gags. 1996 hast Du das dreitägige Festival "Cut" organisiert. Das sollte einen Einschnitt ins Duisburger Kulturleben bedeuten. Drei Tage Jazz der lokalen Szene im Duisburger Filmforum. Was für ein Streß. Man lernt viel, so z.B. daß es tolle und spontane Musiker gibt. Mirko van Stiphaut, der in der "Säule", einem Miniaturtheater mit Durchgang zum Filmforum-Trakt, das auch zum Festivalbereich gehörte, ein Solokonzert bei Teelichtbeleuchtung gab; oder ein Improvisations-Projekt von Jan Keller und einer Tänzerin namens Nnanna Przetak. Das war alles sehr spannend. Auf der anderen Seite war da ein in der lokalen Szene sehr bekannter Bassist, der rumnölte, warum denn so wenig Zuschauer da sein, ob denn nicht genug Werbung gemacht worden sein. Da bin ich, obwohl man als Veranstalter ja eigentlich eher gebremst sein sollte, etwas stinkig geworden und habe ihn gefragt, ob er denn selbst Werbung gemacht habe. Natürlich war das nicht der Fall. Graf Rotz hielt sich wohl für so bedeutend, daß allein sein Erscheinen das Publikum zum Blumen- und Höschenwerfen bringen sollte. Auf solche eingebildeten Trottel kann man wirklich, Sorry, scheißen. Alles in allem war es ein tolles Erlebnis, aber ausgerechnet an dem Wochenende (im April) gab es das erste Biergartenwetter des Jahres, und das stahl uns einige Besucher. R.L. MADISON spielte auch bei dem Festival und wir waren gut drauf. Annans Bruder Jacob war u.a. dabei, oder Matthias Scheffel, ein Pianist, der immer wieder mal bei uns mitmachte und an den ich mich gerne erinnere. Bis 1997 lief alles glänzend, von einer neuen CD war die Rede, aber dann kam ein Break. Ja, leider. In meiner Familie wurde eine sehr, sehr nahestehende Person krank, und in den nächsten Jahren war an Bandarbeit nicht zu denken. Ich muß dazu sagen, daß ich in Sachen Bandmanagement alles alleine organisierte. Ich will hier keine Rosen, aber das war schon ein ziemlicher Aufwand neben meinem normalen Job. Und in der VHS läßt man eben auch nicht um 16 Uhr den Griffel fallen. Alles auf einmal ging also nicht mehr. Wir sagten einen Gig für das "Backstage" ab und vertagten das Weitermachen. Schade auch, weil es eine teilweise neue, richtig gute Band gab. Robert Mayer z.B. war dabei, ein toller und sehr sympathischer Pianist, oder Markus Türk, der für mich der hiesige Roy Hargrove ist: Ein Mann mit einer Wahnsinnspower - und der immer spielen will, der unglaublich viele Projekte aus dem Boden stampft, hier Konzerte organisiert, da einen Club, da eine Big Band, dort Gastmusiker aus fernen Ländern präsentiert. Wie der Kerl das macht, ist mir ein Rätsel. Great guy! Es dauerte lange bis zum ersten Comeback. Ja. 1999, ungefähr, konnte auch André nicht mehr mitmachen. Im Oktober spielten wir noch mal zusammen, aber dann ging das nicht mehr. Musikalisch war es so, als hätte man mir einen Arm und ein Bein rausgerissen, menschlich noch mehr. Leider ist André seit damals nicht mehr als Live-Musiker aktiv. Ich konnte mir lange keine Besetzung ohne ihn vorstellen. Ein feiner Kerl namens Peter Stumm haute mich eines Tages an, ich sei doch Musiker, ob ich denn nicht mal bei einer seiner Veranstaltungen etwas spielen könne. ‚Pidder' war und ist Kreativkopf des "Karawane"-Teams, das im Café Steinbruch in Duisburg Diavorträge über aller Frauen und Herren Länder zeigt. Und es ging um irgendeinen Afrikatrip, der vorgestellt werden sollte. Erst dachte ich an Annan und mich, aber dann kam mir die Reaktivierung der Band in den Sinn. Wie es zu der Besetzung kam, weiß ich gar nicht mehr. Ich war wie schon erwähnt Harald Königs über den Weg gelaufen und hatte ihn gefragt, er kannte wieder jemanden, der wiederum …, wie's halt so läuft. In der Folgezeit gewann die Band an Kontur und Beständigkeit 2001 sollte es wieder einen Gig unter eigenem Banner im Café Steinbruch geben. Ist das Euer Wohnzimmer? Oder wirkt das nur so? Wir sind ohnehin meist in Duisburg und um Umgebung aufgetreten. Das "Steinbruch" ist einer der wenigen Läden, in dem solche Sachen möglich sind und auch angenommen werden. Der Chef des Ladens, Rolf Stanietzki, und ich finden irgendwie immer wieder zusammen. Wenn es einmal ein offiziell letztes Konzert der Band geben sollte, dann im "Steinbruch". Oder auch das zum 50jährigen Bandjubiläum. Dann wurdest Du aber ernstlich krank. Du gehst recht offensiv mit Deiner Krankheitsgeschichte um. Eher offen als offensiv. And why not? Ich habe sie nicht zu verschulden und nicht erfunden. Darmkrebs ist kein Spaß, aber auch nicht sofort gleichbedeutend mit dem Todesurteil. So wie jeder eine Erkältung unterschiedlich verkraftet, ist es auch mit schweren Erkrankungen. Bei mir fehlte nicht viel, ich hatte Glück und eine hervorragende ärztliche Betreuung. Für die "Heaven Band" war es dann doch noch etwas zu früh. Daß ich dieses eigentlich sehr private Thema aber öffentlich bespreche, hat auch einen klaren Grund: Die Leute sollen ihre Augen nicht davor verschließen, daß es jeden treffen kann. Ich habe nur leichte Schmerzen gehabt und mich in die Hände sorgfältig arbeitender und methodisch vorgehender Ärzte gegeben. Weglaufen hilft nichts und verkürzt das Leben unter Umständen dramatisch. Vorsorgeuntersuchungen sind wichtig. Ich weiß, daß im Falle der Darmkrebsvorsorge die legendäre Darmspiegelung keinen glänzenden Ruf hat, aber das ist heutzutage überholt. Es macht keinen Spaß, das ist klar, aber die Zeiten des 10000 Liter Ekellösung-Trinkens sind Geschichte. Das passiert nur noch Leuten in Dschungelcamps, und die haben es dann auch nicht besser verdient. Mein Signal ist also: Diese Krankheit kann jeden treffen, aber die Heilungschancen sind da! Was mit mir gesundheitlich in der Zukunft passiert, weiß auch ich nicht. Aber in meinem Fall bislang elf quasi zusätzliche Lebensjahre sind ein Argument, denke ich. Der Gig fand dann aber doch statt. Ein Beweis für die alte Weisheit "Music is a healing force". Ich habe meine Ärzte immer damit genervt, dass ich schnell fit werden müsse wegen des bevorstehenden Konzerttermins. Das hat sicher meine Heilung beschleunigt. Gut, daß ich als Drummer die ganze Zeit sitzen konnte… Ein Jahr später gab's noch eine OP. In meinem Inneren war nach dem ersten Großreinemachen alles so ungeeignet zusammengewachsen, dass es den Darm verschnürte. Also machte man meinen "Reißverschluß" wieder auf, wühlte in mir rum und ordnete alles neu. Das bedeutete wieder einige Monate Kräfte sammeln. Nach einigen weiteren Auftritten kam es 2004 zu einem Benefizkonzert für die Krebshilfe Rhein/Ruhr. Das war dann sicherlich die Gelegenheit für Dich, "Danke" zu sagen. So ist es. Ein Gedanke, der mir sehr wichtig ist, lautet: "Nichts ist selbstverständlich!" Ich hatte viel Pech, dann aber auch wieder besonderes Glück, daß ich aus dieser schwierigen Phase gut rauskam. Und das ging nicht ohne Hilfe. So ein Benefizkonzert ist natürlich nur ein winziger Baustein, aber letztlich ist ja das imposanteste Bauwerk aus klitzekleinen Bausteinen zusammengesetzt. Es war toll, daß alle Musiker und viele Helfer völlig gagenfrei mitgewirkt haben. Wahrscheinlich habe ich an diesem Abend geschätzte 2500 mal "Danke" gesagt, aber jeder Adressat hatte das mehr als verdient. In naher Zukunft möchte ich gerne solch ein Event wiederholen. (Anmerkung: Eine Neuauflage findet am 9. März 2013 im Grammatikoff in Duisburg tatsächlich statt) Musikalisch entfernte sich R.L.MADISON doch etwas von den Wurzeln... Ja, aber das war beabsichtigt. Teilweise spielten wir moderneren Jazz, haben dann aber auch gut Verträgliches gespielt wie "Just the two of us" oder "Addictive Love". Why not? Es ging nicht um ein typisches Konzert, sondern um den Anlaß. Alles, was wir gespielt haben, hat uns Spaß gemacht, es waren keine Zugeständnisse. Aber ich muß wissen, was ich mit meinem Programm bezwecke. Und an diesem Abend war das Ziel nicht, unser Innerstes musikalisch auszuloten, sondern Spaß zu haben und Spaß zu vermitteln. Der  Anteil an  Jazzungewohnten war sehr groß, also haben wir etwas gemäßigtere Sachen gespielt. Die zukünftige Ausrichtung wird also eine andere sein. Eindeutig. Es soll bei dem Mix aus Soul Jazz und Modern Jazz bleiben, gerne aber etwas gewagter und experimenteller als zuletzt. Das hängt natürlich auch von der Gruppenzusammensetzung ab. Nach 2004 folgte die längste Pause der Band. Warum? Das hatte bei mir rein berufliche Gründe. Ich hatte definitiv keine Zeit mehr für das Live-Business. Gespielt habe ich immer, ein Leben ohne Schlagzeugspiel kann ich mir nicht vorstellen. Aber von vereinzelten Auftritten im Duett mit Annan oder anderen Trommlern abgesehen hatte ich keinen Elan mehr für größere Konzertaktivitäten. Es gibt eben zwei wesentliche Wege: Vom Musikmachen zu leben - was bedeuten kann, daß man Kohle-Jobs annehmen muß, die einem musikalisch stinken, die man aber braucht, um jeden Tag was Warmes essen zu können. Oder man hat einen anderen Job, kann sich seine Projekte fein aussuchen, hat aber kaum noch Zeit dafür. Und je anstrengender der reguläre Job, um so weniger Kreativkraft bleibt übrig. Fast dachte ich schon, dass es mich als Live-Musiker gar nicht mehr geben müßte. Aber in 2010 reifte dann doch der Entschluß heran, diesen Gedanken wegzufegen. Ich sah alte MADISON-Videos, hörte Tapes, bekam wieder Bühnenlust. Und es gelang mir, eine halbneue und richtig gute Band zusammenzustellen. Manche sagen, R.L.MADISON sei eigentlich keine richtige Band, sondern eher ein Bandprojekt. Nenn es, wie Du willst. Es gibt die von mir gern so genannte "Madison Gang". Hier meine ich einen Pool von Musikern, aus dem sich bisher immer Top-Leute finden ließen, die bei den Gigs mitmischten. Einige von ihnen leben vom Musikmachen. Deren Terminmöglichkeiten sind natürlich rar. Ich hab's da leichter. "Projekt" hört sich unfertiger an als "Band", aber auch das macht nichts. Es ist doch klasse, wenn eine Band nie ‚fertig' ist, sich immer weiterentwickelt. Ist der Anteil an Standards nicht zu hoch? Und warum spielt Ihr nicht mehr Eigenkompositionen? Ach Mann, ich weiß, das ist nicht böse gemeint. Aber solche Sätze lassen mich nur gähnen. Was ist an Standards so schrecklich? Ein Song wird doch nicht dadurch abgelatscht, dass ich ihn oft spiele, sondern wenn ich ihn einfalls- oder lustlos spiele. Unsere vielen "Afro Blue"-Versionen klingen nie gleich, nicht mal annähernd. Bei klassischer Musik scheißt sich doch auch niemand ins Hemd, wenn richtig gute Werke landauf landab immer wieder aufgeführt werden. Klassiker sind eben Klassiker. Warum sollte das nicht für den Jazz genauso gelten? Aber es braucht Persönlichkeit, um daraus etwas Eigenes, Neues zu machen. Das ist entscheidend. Und es gibt noch so viele Stücke, die das Zeug zum Standard hätten, wenn sie bekannter wären. Der Pianist Don Pullen z.B. hat wie schon gesagt tolle Sachen geschrieben, von denen wir dann und wann eine ins Programm aufgenommen haben. Eigenkompositionen hatten wir öfter im Programm, als wir in den Neunzigern noch häufiger proben konnten. Ich will da für die Zukunft natürlich nichts ausschließen. Aber wie gesagt: Woher das Material kommt, ist doch egal, Hauptsache, es macht allen Spaß und bleibt kreativ! Und es gibt eben immer Meckerköppe, die sich in ihrem Elitegedanken angegriffen fühlen, wenn sie sich nicht ausreichend von anderen Leuten abgrenzen können. Ein Beispiel: Bei einem Herbie Hancock-Konzert im Rahmen des Moers Festivals lieferte Herbie eine Wahnsinns-Version von "Cantaloupe Island". Ein Typ auf der Pressetribüne entrüstete sich. "Scheiße! Daß ein so guter Mann hier so einen Mist spielen muß!" Dieser Unsinn hat mehrere Aspekte: Ich denke, Herbie wollte. Er mußte nicht den "Mist" spielen. "Cantaloupe Island" beginnt mit einer unverkennbaren rhythmischen Figur. Der typische Elitepopanz weiß nicht, wie man groovt. Er mag es lieber komplex, damit es scheinbar etwas "zu Verstehen" gibt Als "Cantaloop" hatte die Band Us 3 den Song neu rausgebracht, mit Rap versetzt und einen mächtigen Erfolg gefeiert. Auch hier konnte der typische Elitepopanz nicht begeistert sein: Er mag es lieber, wenn er sich mit seinesgleichen im elitären Luxus gefallen kann. Kommerzieller Erfolg paßt da gar nicht ins Bild. Wie sieht denn das aus, wenn man etwas mag, was viele mögen... Neben der Version von US 3 habe ich zuhause Platten von Herbie Hancock, Nat Adderley oder Grant Green. Und wir haben den Song auch mehrmals gespielt. Und das Ding klingt immer wieder anders. Standard oder nicht. So einfach ist das. Ihr seid ja meist in Duisburg zu sehen. Abgesehen von der Tatsache, dass Duisburg Deine Heimatstadt ist - fehlt da nicht die Herausforderung? Wir haben längst nicht nur in Duisburg gespielt, aber vergleichsweise häufig. Mich erinnert das an einen Musikerkollegen, der nach Köln übersiedelte und damals meinte: "Was willst Du denn noch hier? - (mit "hier" war Duisburg gemeint) - Hier ist doch nix los!" Meine Antwort war und ist: "Wenn alle gehen, dann ist hier nix mehr los." Duisburg verdient ein Jazzleben genau wie jede andere Stadt, braucht aber viel mehr Unterstützung als Städte, in denen ohnehin viel passiert. Was soll die Zukunft bringen? Persönlich und insbesondere für die Band? Für die Band wünsche ich mir weiterhin so guten Zuspruch, ein paar Gigs im Jahr und die bisher so gelungene Mischung aus tollen Musikern und positiven Charakteren. Möge sich die "Madison Gang" stetig vergrößern und allen Beteiligten eine gute Zeit bereiten. Konkreter möchte ich auch in kleineren Formationen sehr experimentelle Sachen machen. Ich lasse aber erst mal die nächsten zwei, drei Jahre auf mich zurollen. Privat hoffe ich auf eine perfekte Mischung aus Beständigkeit (Familie, Gesundheit, Beruf) und spannenden Herausforderungen. Kurz gesagt - und das paßt ja zum aktuellen R.L.MADISON-Programm - i'll be MOVIN' ON!!! Danke für das Interview. Hat Spaß gemacht. Mir auch! Immer wieder gerne. aufgezeichnet im Februar 2011